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Grußwort
von Obermeister Torsten Müller
Ein Zeitraum von 300 Jahren ist eine sehr lange Zeit, wenn man ihn überblicken und verstehen will. Viel Geduld und Muße braucht es gewiss, aber diese 300 Jahre sind ja ganz besondere Jahre – da lohnt sich diese Mühe des Betrachtens jedenfalls. Bereits die Begriffe des Schreiners und Tischlers zeigen eine Menge Interessantes auf. Die Unterschiede lie- gen vordergründig auf regionaler Ebene. Der „Schreiner“ als Berufsbezeichnung wird mehr im südlichen Teil Deutschlands verwendet, der „Tischler“ mehr im Norden. Ein „Schreiner“ war früher im sakralen Bereich tätig, in Kirche, Kapelle, Klos- ter, Dom und Münster. Viele der Schreine waren aus Holz, der Name „Schreiner“ leitete sich davon ab. Der Schreiner war also der Kirchenhandwerker. Für den Hausgebrauch, für Tische, Stühle und Möbel gab es den Tischler. Wie sah es wohl bei einem Schreiner zu Zeiten der Innungs- gründung 1718 aus? Die industrielle Revolution war noch nicht in Sicht. Sägemühlen waren noch die einzige Mög- lichkeit, Stämme in Bretter und Dielen aufzutrennen. In den Werkstätten war durchweg Handarbeit angesagt. Mit der Schüttersäge wurden Dielen besäumt, mit Raubank und Schlichthobel begradigt und gefügt, mit Knochenleim ver- bunden. Im Gründungsjahr der Innung befand man sich in einer Hochzeit des Schreinerhandwerks. Möbel mit üppigen Formen, Intarsien, Schnitzereien und vergoldete Beschläge. Ausgesuchte Hölzer, Furniere - von Hand geschnitten – wurden kunstvoll zusammengesetzt. Später, mit Beginn der Industriellen Revolution, hielten die Maschinen auch beim Schreiner Einzug, kamen aus England die ersten dampfge- triebenen Kreissägen. Nun war es möglich, mehrere Ma- schinen per Transmissionsriemen zu betreiben. Der Schrei- ner verfügte nun auch über die ersten Plattenwerkstoffe, die Tischlerplatte, allerdings in einfacherer Ausführung und Qualität, als sie es heute sind. Ab sofort war es nun möglich, Möbel in gewissen Serien und Stückzahlen zu produzieren. Für viele Menschen wurden Möbel nun erschwinglich. Mit erweiterter Versorgung mit Elektrizität wurden Transmissi- onsriemen nach und nach überflüssig. Jede einzelne Ma- schine besaß ihren eigenen Antrieb. Es war nun möglich, Maschinen in Produktionsläufe zu stellen, um die Möbel-
produktion zu rationalisieren. Werkzeuge, die damals noch zum Einsatz kamen, waren zum Teil selbstgefertigte Eisen, über Klappen gehalten, „Formschlüssigkeit“ und „Span- dickenbegrenzung“ noch utopische Begriffe. Mit wach- sender Komplexität der Maschinen und deren Nutzungs- bereiche kam die Notwendigkeit, Sicherheitsstandards einzuführen. Sie galten sowohl für Maschinen als auch für Werkzeuge und sollten die Unfall- oder Verletzungsgefahr verhindern. Berufsgenossenschaften übten Kontrolle in den Betrieben aus. Die Vielfalt der verwendeten Materialien stieg über die Jahrzehnte. Außer Holz und Glas verstand es der Schreiner auch, Metall, Kunststoff und Verbundwerkstoffe – mittlerweile auch viele Plattenwerkstoffe zu verarbeiten. Vie- len Menschen ist noch die Spanplatte ein Begriff, doch wis- sen nur die wenigsten, dass sie in Karlsruhe erfunden wurde. Laut Patentschrift geschah dies im Jahr 1932. Die Grund- ausstattung einer Schreinerei verfeinerte sich immer weiter, Kantenanleimmaschinen, Lochreihenautomaten, Fensterstra- ßen, ganze Fertigungsreihen wurden erstellt. Auch das Büro erlebte ständigen Aufschwung. Nach der Schreibmaschine kam der Computer, aus Telex wurde Fax und der Schreiner bekam auch noch eine Branchen-Software. CAD ersetzte die Zeichenmaschine, und in der Werkstatt zog die erste CNC - Maschine ein. Betrachtet man den Beruf des Schreiners heute, so kann man ihn Handwerkskünstler nennen. Er bedient eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten für die Herstellung von Mö- beln, er kennt mehr als 300 verschiedene Materialien und besitzt das Knowhow, diese zu verarbeiten und sinnvoll ein- zusetzen. Der Schreiner hat sich zu einem Multi-Handwerker entwickelt: Gestalter, Designer, Erfinder, Berater, Verarbei- ter, Bearbeiter, Hersteller, Lieferant. Er montiert Selbstprodu- ziertes, Halb- oder Fertigerzeugnisse, er ist Dienstleister und genau damit rechtfertigt er den Slogan „Wie der Schreiner kann‘s keiner“.
Torsten Müller, Obermeister
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